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Urteil in London: Warum Kevin Spacey freigesprochen wurde - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung

Als die Sprecherin der zwölf Geschworenen nach fast zwölf­einhalb Stunden Beratung die Worte „nicht schuldig“ sprach, brach Kevin Spacey in Tränen aus. Im selben Glaskasten des Londoner Gerichts, in dem Boris Becker im vergangenen Jahr das Urteil gegen sich hörte, legte der zweimalige Oscarpreisträger die Hand auf die Brust und formte, an die neun Männer und drei Frauen auf der Geschworenenbank gerichtet, das Wort Danke. Nach 17 Gerichtstagen war der Vorhang am Ende seines ersten richtigen Auftritts im Rampenlicht gefallen, seitdem Vorwürfe sexueller Übergriffe seine Karriere im Jahr 2017 zerschlagen hatten.

In dem Strafverfahren stand Spacey unter Anklage, vier Männer, deren Ano­nymität aus rechtlichen Gründen gewahrt wird, zwischen 2001 und 2013 in London und in Oxfordshire sexuell genötigt zu haben. In zwei der zwölf Anklagepunkte ging es um nicht einvernehmlichen Geschlechtsverkehr. Damals lebte der Schauspieler, der 2003 die künstlerische Leitung des renommierten Old-Vic-Theaters übernommen hatte, weitgehend in London. Im Zuge des Prozesses war ein weiterer Fall hinzugekommen, dann aber strich der Richter vier Anklagepunkte wegen Sittlichkeitsvergehen aus technischen Gründen. Es blieben neun Anklagen, von denen Spacey allesamt freigesprochen wurde.

Jubelschreie aus dem Publikum

Aus dem Publikum, das jeden Morgen schon Stunden Schlange stand, bevor das Gericht geöffnet wurde, ertönten Jubelschreie. Der Richter schimpfte, die Zuschauer müssten damit aufhören, andernfalls müssten sie das Gericht verlassen. Es war einer von mehreren Momenten, in denen das Gerichtsverfahren den Charakter einer Theatervorstellung bekam. Als Spacey in den Zeugenstand trat, bemerkte der Richter denn auch ironisch, dass er dem Schauspieler wohl nicht erklären müsse, wie er seine Stimme zu projizieren habe. Im Laufe des Verfahrens erfuhr das Gericht, wie Jack Lemmon Spa­cey entdeckt, wie der Angeklagte Judi Dench bei Dreharbeiten zu „The Shipping News“ das Pingpong-Spielen beigebracht und wie er bei einer Wohltätigkeitsversteigerung den teuersten Mini der Welt erworben habe.

Die Staatsanwältin Christine Agnew hatte die Geschworenen ermahnt, sich nicht von Spaceys Ruhm blenden zu lassen. Es sei verständlich, wenn sie beeindruckt oder überwältigt seien, doch hielt sie die Männer und Frauen dazu an, dem Eid getreu zu handeln. Sie gestand, selbst etwas überwältigt gewesen zu sein, als sie den aus Monaco als Zeuge zugeschalteten Sir Elton John im Kreuzverhör vernahm. Die Aussage des Sängers, der seinen Namen als Elton Hercules John angab, dürfte ausschlaggebend gewesen sein für den Verlauf des Verfahrens. Denn sowohl John als auch sein Ehemann David Furnish stellten die Behauptungen eines Fahrers infrage, denen zufolge Spacey ihm auf dem Weg zu einem Fest des Paars zwischen die Beine gegriffen habe, während der Fahrer am Steuer gesessen habe. Die Jahreszahl, die er angab, stimmte aber mit den Aussagen der Gastgeber nicht überein. Spacey sei 2001 im Privatflugzeug angereist und habe bei John und Furnish übernachtet. Es sei das einzige Mal gewesen, dass Spacey an einem der glanzvollen Feste teilnahm, zu denen das Paar eine Zeit lang jährlich einlud.

Die Anklage argumentierte, Spacey habe als „goldener Junge“ der Londoner Theaterszene die Macht des Ruhmes ausgenutzt, „um sich den und das zu nehmen, die er begehrte“ – in der Gewissheit, dass seinen vermeintlichen Opfern kein Glaube geschenkt werden würde. Spacey entgegnete, einem der Männer sei es nur um „Geld, Geld und dann Geld“ gegangen. Er gestand, gern zu flirten und sich auf wahllosen Gelegenheitssex eingelassen zu haben, sprach aber in den Fällen, in denen ihm ein sexueller Übergriff vorgeworfen wurde, von romantischen Momenten einvernehmlichen Zusammenseins. Er erzählte, wie seine Welt innerhalb weniger Tage explodiert sei, als der Schauspieler Anthony Rapp ihn 2017 beschuldigte, ihm sexuelle Avancen gemacht zu haben, als Rapp erst 14 Jahre alt gewesen sei.

Spacey sexuelle Orientierung war spätestens seit einem seltsamen nächtlichen Überfall in London vor fast 20 Jahren ein offenes Geheimnis. Er bekannte sich aber erst nach Rapps Vorwürfen öffentlich zu seiner Ho­mosexualität. In den Vereinigten Staaten hat Spacey bereits ein Strafverfahren und ein ziviles Verfahren gewonnen, in denen er wegen sexueller Übergriffe vor Gericht stand. Ermittlungen im Bundesstaat Massachusetts und ein weiteres ziviles Verfahren wurden eingestellt. Nach dem Urteilsspruch in London trat Spacey kurz vor die Menge, die sich vor dem Gericht versammelt hatte, um den Geschworenen, den Gerichtsangestellten und seinen Anwälten zu danken. Es wirkte wie im Film, aber es war Wirklichkeit.

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