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„So viele verzaubert“: Die Schauspielerin Christina Drechsler starb mit 41 Jahren - Berliner Zeitung

Die 1982 in Berlin geborene Schauspielerin war lange am Berliner Ensemble engagiert. Sie nahm mit der Direktheit ihres Spiels gefangen.

Christina Drechsler (1982–2023)

Christina Drechsler (1982–2023)imago/Drama

Ihr Kollege Sabin Tambrea hat die traurige Nachricht per Instagram verbreitet: Mit nur 41 Jahren ist die Berliner Schauspielerin Christina Drechsler gestorben. Die beiden waren gemeinsam am Berliner Ensemble engagiert. Christina Drechsler kam 2003 mit Anfang zwanzig an das Haus, hatte schon als jugendliche Darstellerin Fernseherfahrungen bei einer RTL-Soap gesammelt, bevor sie unmittelbar nach dem Abitur an der Ernst-Busch-Schauspielschule studierte. Noch vor dem Diplom hatte Claus Peymann sie an den Schiffbauerdamm geholt und zu einer wichtigen Protagonistin seiner Intendanz gemacht.

Ihre von Leben durchpulste Bühnenpräsenz, ihr hibbeliges Strahlen, ihre Spielwut und ihre Wachheit durchschlugen die vierte Wand und griffen direkt ins Herz. Kaum im Engagement wurde sie vom Publikum mit dem Daphne-Preis bedacht.

Der Schrecken sitzt in den Knochen

Eine starke Erinnerung an die junge Schauspielerin steckt dem Theaterkritiker noch in den Knochen. 2006 spielte sie in einer Inszenierung von Thomas Langhoff in Botho Strauß‘ „Die Schändung“ Lavinia, die auf offener Bühne die Zunge herausgeschnitten bekam, misshandelt und vergewaltigt wurde. Eine in ihrer Direktheit verstörende Gewaltszene, die man heute sicher nicht mehr so ungebrochen und realistisch inszenieren würde. Schlimm war aber nicht unbedingt das Kunstblut und das herumfliegende Stück Theaterfleisch, schlimm war der Schrecken in dem Gesicht der jungen Schauspielerin.

Eine Grenze zwischen der Figur und der jungen Ernst-Busch-Absolventin schien umgerissen. Der Affekt, der beim Zusehen entstand, der Impuls aufzuspringen und einzugreifen, konnte im Zaum gehalten werden und verwandelte sich in stille Wut, die sich gegen die Herren richtete, die so eine Szene schreiben, so pur inszenieren und gegen den Intendanten des Hauses sowieso. Man konnte nicht anders, als ihr diese Schmerzen und diese Traumatisierung zu glauben. War es blutige Verwandlung? Oder handwerkliche Verstellung? Wo blieb der Hinweis, dass dies ein Spiel war? Bei der dritten Vorstellung kam es zu Tumulten im Saal, zu Zwischenrufen und zu Türenschlagen. Drechsler spielte weiter. Das Theater verfasste eine Pressemitteilung.

Abgrundtiefes Spiel

Es ist als ein großes Lob gemeint, was Tambrea in seiner Todesmeldung formuliert, aber sie erinnert an jene Szene des scheinbar ungeschützten, gefährlichen Spiels: „So viele hast du verzaubert mit deiner sanften Seele. Mit deinem kompromisslos abgrundtiefen Spiel, deiner Selbstaufgabe für das Unerreichbare.“ Mit der Erinnerung an diese Szene kann man das nur bestätigen, aber was sind das für Ideale? Das tut doch weh!

Drechsler spielte viele große Rollen, von denen jede Schauspielerin träumt. Alle bei sehr viel älteren Regisseuren, deren Handschrift schon ausgereift war: außer bei Langhoff, begegnete sie mehrmals in der Arbeit George Tabori. Bei Robert Wilson spielte sie die Polly in der „Dreigroschenoper“, das Gretchen in „Faust“. Und Claus Peymann besetzte sie als stumme Kattrin in „Mutter Courage“. Es ist nicht leicht, ein solches Engagement zu verlassen und sich als freie Schauspielerin auf den Markt zu begeben, und dennoch war es ein richtiger Schritt. Am Berliner Ensemble hatte sie alles erreicht, das Haus trat unter Peymann ästhetisch auf der Stelle.

Der Drang zur Verwandlung

Ihre Kraft und Energie gehörten ins Theater, wo sie weiterhin als Gast spielte. Aber ihr Drang zur realistischen Verwandlung hätte auch eine große Filmkarriere möglich gemacht. Christian Schwochow hat das gesehen und sie 2008 in „Novemberkind“ als beste Freundin der von Anna Maria Mühe gespielten Titelrolle besetzt. Für ihre Rolle als beeinträchtigte Jule Lorentz in „Die Unsichtbare“ wurde sie für den Deutschen Filmpreis nominiert. Es ist ein Jammer, dass diese Begabung sich nicht weiter entfalten kann. Dieser frühe Tod, über dessen Ursache vorerst nichts bekannt wurde, ist für das Publikum schwer hinzunehmen. Für ihre Familie und Freunde ist er eine Katastrophe. 

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