Viel wurde gerätselt, spekuliert und auf eine ansprechende Form gehofft - doch einen solchen Auftakt haben wohl nur die allergrößten Optimisten erwartet. Völlig überraschend haben die deutschen Biathleten einen Traumstart in den Weltcup-Winter hingelegt. Neben den Premierensiegen von Roman Rees und Philipp Nawrath gab es Podestplätze für beide Staffeln sowie zwei für Franziska Preuß, zwei für Vanessa Voigt, einen für Justus Strelow und einen weiteren für Nawrath.
Selbstredend war DSV-Sportdirektor Felix Bitterling nach dem gewaltigen Ausrufezeichen von Östersund hochzufrieden, zollte seinen Athleten viel Anerkennung. „Langsam wird es schwierig, die richtigen Worte für diese Leistungen zu finden. Unser Selbstvertrauen und unser Glaube daran, was wir erreichen können, sind extrem gewachsen“, sagte der Funktionär. „Dem ganzen Team kann keiner diese frühen Erfolge mehr nehmen.“
Am Sonntag starteten - erstmals seit fast 17 Jahren - gar zwei Deutsche in den Gelben Trikots der Führenden im Gesamtweltcup: Preuß und Nawrath. Letztmals war dies Michael Greis und Andrea Henkel gelungen, die am 7. Januar 2007 vor heimischer Kulisse in Oberhof als deutsches Gelb-Duo bei einem Weltcup über die Strecke jagten. Eine gefühlte halbe Ewigkeit ist das im schnelllebigen Leistungssport her.
Dass nun sowohl Preuß als auch Nawrath ihre Spitzenposition in den abschließenden Verfolgungen verteidigen konnten und mit dem begehrten Jersey im Gepäck nach Hochfilzen reisen, war das i-Tüpfelchen eines nahezu perfekten Auftakts. Doch warum läuft beim DSV-Team plötzlich alles aus einem Guss? SPORT1 hat vier Hauptgründe für den Höhenflug herausgearbeitet.
1. Mannschaftliche Geschlossenheit
Zehn Podestplätze in den ersten Saisonrennen stellen ein Novum dar! Nie zuvor gab es für das deutsche Biathlon-Team eine derart grandiose Ausbeute. Im Jahr 2001 hatte es immerhin neunmal zum Sprung auf das Treppchen gereicht. Allerdings setzen die DSV-Skijäger nicht nur in der Spitze neue Maßstäbe, sondern imponieren auch in der Breite.
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Hinter den alles überragenden Podestläufern Rees, Nawrath, Strelow, Preuß und Voigt stürmten schon drei weiteren Athleten in die Top-Ten: Sophia Schneider, Benedikt Doll und Johannes Kühn. Das hilft wiederum den Jüngeren und Unerfahrenen im Team. Selina Grotian, Hanna Kebinger oder David Zobel können ohne großen Leistungsdruck wertvolle Weltcuperfahrung sammeln.
Außerdem hilft das Wissen, echte Top-Sportler in den eigenen Reihen zu haben, als Referenz im Training enorm. Und erwischt jemand einen schlechten Tag wie Rees im Sprint, der leichte Krankheitssymptome hatte und die Führung im Gesamtweltcup nach Platz 56 abgeben musste, springen eben andere wie sein siegreicher Teamkollege Nawrath in die Bresche.
2. Das Material läuft
Die Skier sind der größte Trumpf! Hatte Biathlon-Legende Ole Einar Björndalen bei der Saison-Generalprobe im norwegischen Sjusjoen noch harte Kritik am DSV-Team wegen deren Materialproblemen geübt, waren die Deutschen in Östersund voll auf der Höhe. Bei Temperaturen von bis zu -15 Grad sei die Arbeit des Technikerteams der Schlüssel zu den Spitzenergebnissen gewesen, hob Strelow hervor.
Sein Teamkollege Nawrath ging in dieselbe Richtung. „Unsere Skitechniker sind jeden Tag teilweise von der Früh um sechs an im Einsatz. Das ist die Basis dafür, dass wir hier solche Erfolge feiern“, betonte der 30-Jährige. Wie Cheftechniker Sebastian Hopf erklärte, seien die trockenen, kalten Bedingungen allerdings auch „einfach“ für die Wachser gewesen. Möglicherweise ändert sich das Kräfteverhältnis schon am kommenden Wochenende in Hochfilzen grundlegend.
3. Neue Stärken am Schießstand
Doch nicht nur in der Loipe klappt es. Plötzlich begeistern die Deutschen auch mit schnellen Schießeinlagen und starken Trefferquoten! Hatten gerade die Männer in der Vergangenheit oftmals Mühe auf den Matten, sah das beim Saisonauftakt ganz anders aus. Dem als Schnellschütze herausstechenden Strelow kann mit einer Trefferquote von 96 Prozent niemand das Wasser reichen. Dazu wirken auch Nawrath und Kühn im Vergleich zu so manch anderen Jahren deutlich sicherer und feuern ihre Serien zügiger aus dem Gewehr.
Ebenso herausragend am Schießstand wie Strelow agierten bislang Voigt und Preuß, die beiden Speerspitzen aus der Frauen-Mannschaft. Besonders imposant: Liegend hat sich Voigt noch gar keinen Fehler erlaubt, stehend sind es gerade einmal drei. Bei Rückkehrerin Preuß stimmt die Mischung aus Schießzeit und Trefferleistung ohnehin - in dieser Hinsicht zählt die 29-Jährige zur absoluten Weltspitze.
Kurz vor dem Saisonstart schilderte Doll im SPORT1-Interview, dass die Deutschen mit dem neuen Cheftrainer Uroš Velepec „sehr viel anders gestaltet“ haben, was das Schießtraining angeht. „Wir hoffen, dass wir dadurch das Niveau anpassen und die Lücke zu den Norwegern schließen können“, sagte der Schwarzwälder. Ein erster Schritt in die richtige Richtung ist offenbar gemacht.
4. Die Konkurrenz spielt mit
Die DSV-Skijäger waren eiskalt zur Stelle, als die größte Konkurrenz schwächelte! Bei den Männern liefen Johannes Thingnes Bö und Sturla Holm Laegreid, die beiden Überflieger der vergangenen Saison, entgegen vieler Erwartungen nur hinterher. Während Bö, der auf der Loipe nicht mehr alles in Grund und Boden rennt, am Schießstand noch den richtigen Zugang sucht, ist die Laufform bei Laegreid sogar besorgniserregend.
Ein ähnliches Bild zeichnete sich bei den Frauen ab. Zwar bestimmte Elvira Öberg alle Laufzeiten, doch unzählige Schießfehler brachten die favorisierte Schwedin immer wieder um bessere Resultate. Auch bei Schwester Hanna Öberg, Julia Simon, Ingrid Landmark Tandrevold oder Dorothea Wierer hakte es noch in mindestens einer Teildisziplin. Preuß und Voigt nutzen hingegen die Gunst der Stunde und räumten jeweils zwei Podestplätze ab.
Doch jedem sollte bewusst sein: Die jüngsten Erfolge sind längst keine Garantie, dass die schwarz-rot-goldenen Festspiele den ganzen Winter anhalten. Ändern sich beispielsweise schon in Hochfilzen die äußeren Bedingungen, werden die Karten neu gemischt - und die deutsche Mannschaft fängt wieder bei Null an.
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