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Für jemanden wie ihn wurde das Wort flamboyant erfunden: Gegen den Nieselregen in Cottbus trägt Kommissar Vincent Ross (André Kaczmarcyk) einen glänzenden ochsenblutfarbenen Kunstledermantel, dessen hohen Kragen er bis über die Ohren aufstellt. Die Haare hat er sich wie einst der junge queere Varieté-Punk Marc Almond von Soft Cell zu einer lockigen Tolle gekämmt, die bei Vernehmungen vor seinen funkelnden Augen wippt, bis die Vernommenen davon ganz wuselig werden.
In der besten Szene dieses überwiegend trüben »Polizeirufs« hat sich Ross ein paar Teufelshörner in die Locken gesteckt und schaut dazu streng. Es ist Karneval in Cottbus; das besoffene Volk geht als Clown oder Gorilla, aus einem Umzugswagen schallt Rio Reisers Anarcho-Hit »König von Deutschland« . Wenn der Spießer auf flamboyanten Punk macht, wird der flamboyante Punk eben zum Spießer. Einer muss die Leichen ja einsammeln.
Gisa Flake, André Kaczmarcyk: Wo ist mein Cappuccino?
Foto: Volker Roloff / rbbIn diesem Fall ist das die Leiche eines Theatermalers, der für die Gestaltung eines Motivwagens für den Karnevalsumzug zuständig war. Ross ist aus dem deutsch-polnischen Kommissariat in Świecko nach Cottbus berufen worden, weil es sich bei dem Opfer um einen polnischen Staatsbürger handelt.
Gerangel im Karnevalskommerz
Hintergrund der Tat ist offenbar ein Gerangel um Vorteile beim örtlichen Karnevalskommerz; es geht darum, wer den am besten gelegenen Bierstand bekommt, und welche örtliche Brauerei als offizieller Zulieferer fungieren darf. Der Paradiesvogel aus Świecko muss kommunale Amtsschimmel und Kleinunternehmer in die Zange nehmen.
Das Blöde ist, dass die Filmemacher insgesamt wenig nachhaltiges erzählerisches Kapital aus der Andersartigkeit ihres Hauptermittlers schlagen, obwohl sie die doch bei wirklich jeder Gelegenheit plakativ und pointenreich in Szene setzen.
Das mag auch daran liegen, dass es beim verantwortlichen RBB gerade kein Konzept gibt, wo man eigentlich genau in der brandenburgischen Provinz mit dem Hipster hinwill. In dieser Folge (Buch: Mike Bäuml und Axel Hildebrand, Regie: Christoph Schnee) kontert Ross den Cottbuser Kleinstadtzoff mit Ironie und Distinktionsgeschacher. Als er auf seinen Mantel angesprochen wird, pampt er, der sei von einem »italienischen Modelabel«.
Raczek, du fehlst!
Das könnte ganz witzig sein – wenn Ross auf einen festen starken Widerpart treffen würde. Die Figur des genderfluiden, weltläufigen Kommissars wurde ursprünglich ja eingeführt, um dem von Lucas Gregorowicz gespielten polnischen Testosteron-Bollwerk Adam Raczek Paroli zu bieten. Doch Gregorowicz hat sich nach nur zwei gemeinsamen Folgen verabschiedet.
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In der übrig gebliebenen TV-Revier-Ruine sammelt Ross nun einige Sidekicks aus älteren Folgen des deutsch-polnischen »Polizeirufs« ein. Etwa Karl Rogov (Frank Leo Schröder), den er bereits in seinem letzten Fall kennengelernt hat und der ihn nun von der Basis in Świecko aus unterstützt, oder die Cottbuser Kollegin Alexandra Luschke (Gisa Flake), die schon einmal in einer Solofolge mit Gregorowicz aufgetaucht ist.
Barista-Frust in Cottbus
Ross, Rogov und Luschke, so der Plan des RBB, werden zukünftig in variierenden Konstellationen zusammenarbeiten. Eine Hauptfigur soll es demnach im deutsch-polnischen »Polizeiruf« nicht geben.
Von Kooperation auf Augenhöhe kann in »Cottbus kopflos« allerdings noch nicht die Rede sein. Allein der Rückstand der Stadt in Barista-Fragen! Nach dem ersten gemeinsamen Filterkaffee auf dem Revier verzieht Ross das Gesicht und verordnet dort den korrekt geschäumten Cappuccino als Dienstgetränk, bevor er aus der Kulturbrache Cottbus in seinem fliegenden italienischen Kunstledermantel abdüst.
Bewertung: 4 von 10 Punkten
»Polizeiruf 110: Cottbus kopflos«, Sonntag, 20.15 Uhr, Das Erste
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