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Harrison Ford spielt ein letztes Mal Indiana Jones. Das schmerzt - Neue Zürcher Zeitung - NZZ

Harrison Ford spielt ein letztes Mal Indiana Jones. Der fünfte Film wirkt wie durchgepeitscht.

Auch als Ruheständler reiselustig geblieben: Dr. Henry Walton «Indiana» Jones, Jr. (Harrison Ford).

Auch als Ruheständler reiselustig geblieben: Dr. Henry Walton «Indiana» Jones, Jr. (Harrison Ford).

Jonathan Olley / Lucasfilm

Indiana Jones jagt wieder NS-Raubgut. In seiner langjährigen Feldforschung schlug sich der unerschrockene Archäologe schon öfters mit Nazis herum. «Nazis?», sagte er einmal: «I hate these guys!»

Im neuen, fünften Film wird um den Mechanismus von Antikythera gerungen, auch bekannt als der älteste Computer der Welt. Während sich der peitschenschwingende Prähistoriker und die SS-Schergen in früheren Begegnungen um die Bundeslade stritten oder ein Tauziehen mit dem Heiligen Gral veranstalteten, fighten sie nun um ein berühmtes antikes Messinstrument.

Dieses gibt es wirklich. Im Wrack eines Schiffes wurde es gefunden, das vor der Küste von Antikythera gesunken ist. Über die Urheberschaft wird gerätselt. Hingegen ist im Film die Provenienzforschung schnell gemacht: Laut Professor Jones hat zweifelsfrei Archimedes den kuchentellergrossen Apparat konstruiert.

Altnazis wollen zurück in der Zeit

Letztlich führt Indiana Jones sogar dessen Restitution herbei. Wobei er sich der Fähigkeiten des Gerätes bedient. Mit dem Mechanismus von Antikythera hat Archimedes nicht nur Mond- und Sonnenfinsternisse vorhergesagt. Der Film phantasiert herbei, dass der geniale Mathematiker auch Risse in der Zeit zu berechnen wusste. Was so viel heisst wie: Wer im Besitz des archimedischen Wundertellers ist, kann zeitreisen.

Das bringt eine Gruppe von Alt-/Neonazis auf Gedanken. «Die Alliierten haben nicht gewonnen, Hitler hat verloren», faselt deren Anführer Jürgen Voller (Mads Mikkelsen). Es sind die späten sechziger Jahre, Voller will sich zurück in die Dreissiger beamen, um die Fehler des Führers zu korrigieren.

«Die Alliierten haben nicht gewonnen, Hitler hat verloren», sagt Jürgen Voller (Mads Mikkelsen). Er will zurück in die Vergangenheit, um dem Führer unter die Arme zugreifen.

«Die Alliierten haben nicht gewonnen, Hitler hat verloren», sagt Jürgen Voller (Mads Mikkelsen). Er will zurück in die Vergangenheit, um dem Führer unter die Arme zugreifen.

Jonathan Olley / Lucasfilm

In der Wirklichkeit sind 82 Fragmente der Antikythera erhalten, die sich im Archäologischen Nationalmuseum in Athen befinden. Im Film ist das Zeitreise-Tool zwar nicht zerbröselt, aber Archimedes hat es in zwei Hälften geteilt. Damit es nicht so leicht in falsche Hände gerät? Oder einfach weil das zusätzliche filmische Möglichkeiten eröffnet: zwei Teile, doppelter Schnitzeljagd-Spass?

Die Nazis besitzen jedenfalls bald die eine Hälfte. Und Indiana Jones muss dafür sorgen, dass es nicht zu noch mehr NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut kommt – um es einmal maximal modern auszudrücken.

Aber wie zeitgemäss ist eigentlich dieser Dr. Henry Walton «Indiana» Jones, Jr. heute noch? Dieser Globetrotter, der seine Abenteuer früher vorzugsweise im exotischen Orient, wahlweise aber auch im fernöstlichsten Dschungel erlebte, wo es vor Banausen und Barbaren nur so wimmelte: Kann man diese Figur überhaupt noch anschlussfähig machen für progressive, postkolonial sensibilisierte Zuschauer?

Der neue Film versucht es, indem er sich hellenisch orientiert. Was in identitätspolitisch zartbesaiteten Zeiten eher unverdächtig ist. Dem alten weissen Jones wird wegen der Genderparität ausserdem die angesagte Phoebe Waller-Bridge («Fleabag») als Patentochter zur Seite gestellt. Und er selber ist bemüht ironisch als alter Knacker anlegt: Am Hunter College in New York hat er zehn Jahre die Studenten mit schnarchnasigen Vorlesungen gelangweilt. Gerade wird er emeritiert, als Voller und seine Naziclique auftauchen.

Jones’ Abenteuerlust ist geweckt. Er ist ein unverbesserlicher Cowboy geblieben. Was zunächst mittels einer aberwitzigen Verfolgungsjagd zu Pferd in der Subway von New York veranschaulicht wird. Eine weitere Verfolgungsjagd erleben die Patentochter und der rastlose Ruheständler in Marrakesch, wo sie im Tuk-Tuk durch die engen Gässlein geschossen kommen. In die Höhle des Dionysios auf Sizilien steigt man ausserdem hinab. Touristischen Schauwert hat dieses Reisemovie alleweil.

Aber ist es klug, den hüftsteif gewordenen Archäologen nach fünfzehnjähriger Filmpause wieder ins Feld zu schicken? Harrison Ford, 80-jährig, hat versprochen, dass dies sein letzter Auftritt in der Rolle bleibe. Besser wär’s. Hollywood kann Zeitreisen spielen, aber die Zeit vergeht trotzdem: Selbst so ein ikonischer Fedora mit breiter Krempe ist irgendwann nur noch ein alter Hut.

Mit dem ersten Indiana-Jones-Film, «Raiders of the Lost Ark» (1981), hielten in Hollywood die unheilvollen Mächte des Marketings Einzug.

Mit dem ersten Indiana-Jones-Film, «Raiders of the Lost Ark» (1981), hielten in Hollywood die unheilvollen Mächte des Marketings Einzug.

Imago

Die Marketingmaschine

Pauline Kael, die Reich-Ranicki der amerikanischen Filmkritik, schrieb 1981 über das erste Indiana-Jones-Abenteuer einen Text, der heute fast prophetisch klingt. Sie erkannte in «Raiders of the Lost Ark» von Steven Spielberg (Regie) und George Lucas (Idee) eine unheilvolle Zeitenwende. Denn die Marketingabteilungen hätten nun endgültig das Ruder an sich gerissen. Mittlerweile würde mehr Geld in die Promotion eines Films gesteckt als in die Produktion. «Es ist ganz natürlich», so höhnte Kael: «Jeder hält es für selbstverständlich, dass mehr für den Verkauf von Seife ausgegeben wird als für die Herstellung.»

In Lucas und Spielberg sah Kael willige Vollstrecker des Marketings. «Raiders of the Lost Ark» bezeichnete sie als ein «maschinell gefertigtes Abenteuer» im Geiste der Pulp-Esoterik von Tarzan. Die Eröffnungssequenz, in der sich der Held «gegen Fallen, vergiftete Pfeile, Taranteln, Steintüren mit Metallzähnen und den grössten verdammten Felsbrocken, den man je gesehen hat, wehren muss», sei so spannend, dass man keine Zeit zum Atmen habe – und auch keine zum Geniessen.

Kael kam mit dem Tempo nicht zurande. Die Reizüberflutung überforderte sie. Retrospektiv hat sie sich mit ihrer Kritik natürlich völlig vertan: «Raiders of the Lost Ark» ist heute ein unwiderlegbarer Klassiker. Aber die 40 Jahre alte Besprechung lässt sich dafür mustergültig auf den neuen Film anwenden.

Taranteln gibt es zwar keine. Indiana Jones badet bloss einmal in einem Meer von Muränen. Aber «The Dial of Destiny», Spielzeit: 154 Minuten, geht auch hart auf die Lungen. Oder wie Kael sagen würde: «It’s a workout.»

Diesmal spielt die Eröffnungssequenz im Zweiten Weltkrieg, wo ein digital drastisch verjüngter Ford als Mittdreissiger-Indy seinen kulturhistorischen Privatkrieg gegen das «Dritte Reich» führt. Das Intro endet im Nahkampf auf einem fahrendem Zug: Harrison Ford, die Waggons, die Berglandschaft im Hintergrund: Alles kommt sichtbar aus dem Computer. Die Spezialeffekte sind für so eine Grossproduktion erstaunlich krumm.

Geniessen kann man nichts. Die Raserei reisst nie ab, das scheint dramaturgisch die Idee. Um noch einmal Kael zu bemühen: Es fühlt sich an, «als wäre der Cutter gepeitscht worden, damit er nur immer schneller schneidet». Nach so einem Senkrechtstart sei klar, dass «mindestens siebzehn weitere Höhepunkte kommen müssen und dass der Film kein Abenteuer wird, sondern ein Wettkampf – Spielberg contra Spielberg».

Hollywood hat ADHS

Vierzig Jahre später hat Spielberg zwar nur noch produziert, Regie führt James Mangold («The Wolverine»). Aber der macht genau das, was Kael an Spielberg kritisierte: Er verwechselt Geschwindigkeit mit Beschwingtheit.

Pauline Kael kam 40 Jahre zu früh. Heute ist der Fall klar: Hollywood hat ADHS. Geschichten werden weniger erzählt als getaktet. Eine Industrie ist entstanden, die sich statt auf Kino auf Content kapriziert. In der das Marketing die Richtung vorgibt und alles, was noch halbwegs im Saft steht, maschinell auspresst.

Natürlich gibt es schlechtere Filme als «Dial of Destiny», so ist es nicht. Man schaut wahrscheinlich immer noch besser diesen «Indiana Jones» als Netflix. Das Bestreben, den Charme der alten Filme wiederaufleben zu lassen, ist spürbar. Aber es wirkt, als hätten die Filmemacher das eigentliche Filmemachen verlernt.

Mit dieser Reise in die Vergangenheit landet die Franchise nicht an einem schön-nostalgischen, sondern am neuralgischen Punkt. Gerade weil es sich um den geliebten «Indiana Jones» handelt, ist die Erkenntnis so schmerzvoll: Jene unheilvolle Entwicklung, die vor 40 Jahren ihren Anfang nahm, ist abgeschlossen. Ein Archimedes des Films, der die Zeit zurückdrehen kann, ist nicht in Sicht. Kein Superarchäologe kann noch helfen: Das Blockbusterkino, es hat sich eingesargt.

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