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Steve Carell in »Der Patient«: Lustig war gestern - DER SPIEGEL

Steve Carell in »Der Patient«: Angekettet aufgewacht

Steve Carell in »Der Patient«: Angekettet aufgewacht

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FX Networks / Disney+

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Reagieren Psychotherapeuten in Extremsituationen überlegter, reflektierter als Durchschnittsmenschen? Dr. Alan Strauss (Steve Carell) hat ausreichend Gelegenheit, diese Frage zu erörtern, als er aufwacht und feststellt, dass er in einem fremden Bett liegt – und angekettet ist. Das Haus, in dem er sich befindet, scheint in einem Wald zu stehen. Niemand hört sein Rufen.

Möglich, dass Teile des Publikums jetzt auf den comic relief warten, schließlich spielt Steve Carell die Hauptrolle in »The Patient«, dieser urkomische Typ aus »Jungfrau (40), männlich, sucht …« und »Get Smart«. Allerdings hat sich Carell schon vor Jahren als einer der großartigsten Charakterdarsteller in Hollywood etabliert (»Foxcatcher«! »Beautiful Boy«!) und spielt hier eine seiner vielschichtigsten Rollen.

Lustig wird die Serie also nicht mehr, eher immer bedrohlicher. Denn Alan Strauss schwebt in akuter Lebensgefahr: Sein Patient Sam (Domhnall Gleeson) hat ihn entführt, und der gibt sich nun als Serienkiller zu erkennen.

Alans Patient Sam (Domhnall Gleeson) entpuppt sich als Serienmörder, der therapiert werden will

Alans Patient Sam (Domhnall Gleeson) entpuppt sich als Serienmörder, der therapiert werden will

Foto: FX Networks / Disney+

Seine schwierige Beziehung zum prügelnden Vater hatte Sam schon früher in Sitzungen mit Dr. Strauss versucht aufzuarbeiten, allerdings mit Sonnenbrille und ohne sich wirklich zu öffnen. Jetzt stellt sich heraus: Die Wut, die Sam in sich spürt, hat ihn schon mehrere Menschen töten lassen. Dr. Strauss soll ihm helfen, seinen Impuls zu kontrollieren – angekettet und in größter Angst um sein eigenes Leben.

Psychotherapie benötigt einen angstfreien Raum, um zu funktionieren. Die Serie »Der Patient« von Joel Fields und Joe Weisberg (»The Americans«) dreht diese Voraussetzung komplett um. Alan Strauss’ Antrieb ist der reine Überlebensinstinkt, und der ist in Sachen Therapie kein guter Ratgeber, wie sich in den zehn Folgen zeigen wird.

Wäre diese Serie als reine Spannungsmaschine angelegt, würde ihr wohl auch relativ schnell der Saft ausgehen, zu ausgedacht wirkt die Prämisse. Aber die Macher haben etwas anderes damit vor, und »Der Patient« zeigt schnell, welch überraschende Genrevariationen das moderne Serienerzählen hervorzubringen in der Lage ist.

Mehr Filme und Serien

    Sowohl Therapeuten als auch Serienkiller sind wohlbekannte Figuren der Film- und Seriengeschichte. »In Treatment« mit Gabriel Byrne als Psychotherapeut mit einem Haufen eigener Probleme war eine der frühen HBO-Serien, die international für Aufsehen sorgten; Serienkiller geistern seit Jahrzehnten als das absolut Böse durch Filme wie »Das Schweigen der Lämmer«.

    Die Netflix-Serie »Dahmer« zeigte den realen Massenmörder Jeffrey Dahmer kürzlich allerdings als schuldiges, komplexbeladenes, leidendes Häuflein Mensch. Auch Sam in »The Patient« darf sich als komplexes Wesen mit Gefühlen und Verletzungen zu erkennen geben.

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    Bald stellt sich aber heraus, dass es nur am Rand um Sams Befindlichkeiten geht. Im Mittelpunkt des minimalistischen Settings steht Alan Strauss, der tatsächlich bald auf Techniken zurückgreift, die er in Supervisions-Sitzungen mit seinem eigenen Therapeuten gelernt hat. In fragmentierten Rückblenden wird sein Innenleben lebendig, teils durch imaginierte Therapiesitzungen, teils durch Erinnerungen an sein Familienleben.

    Alans Frau starb kürzlich an Krebs, aber seine Familie war schon vorher durch einen entfremdeten Sohn, der sich einer orthodoxen jüdischen Sekte anschloss, entzweit. Den Tod vor Augen, befragt sich Alan nach seinem eigenen Beitrag zu diesem familiären Schisma, zu seinem Verhältnis zu seinen Kindern und letztlich zu seiner jüdischen Identität, mit der er hadert. Träume und innere Monologe führen in gar nach Auschwitz.

    Aus »The Patient« schält sich also in kurzen, nur zwischen 20 und 40 Minuten langen Episoden, ein zutiefst bewegendes Porträt eines Mannes heraus, der den Zuschauenden in seiner Zerrissenheit und ehrlichen Selbstbefragung sehr nahekommt. Der riskante Drahtseilakt, verschiedene Genres zu etwas Neuem zu verschrauben, wird hier zu einem virtuosen Kunststück, das dann auch noch zu einem überraschenden, emotional umso überwältigenderen Finale führt.

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