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Serie »We Own This City«: Alle haben längst verloren - DER SPIEGEL

Die neue HBO-Serie »We Own This City« von David Simon ist nicht so schillernd wie sein Klassiker »The Wire«. Dafür aber in seiner Realitätsnähe noch ernüchternder.
Szene aus »We Own This City«

Szene aus »We Own This City«

Foto: Sky / HBO

Bevor Minneapolis durch den George-Floyd-Mord weltweite Bekanntheit erlangte, galt die Stadt Baltimore als beispielhafte Wirkstätte einer überforderten Polizei. Das lag auch an David Simon, dem ehemaligen Polizeireporter der »Baltimore Sun«, der während der Nullerjahre in seiner preisgekrönten HBO-Serie »The Wire« den ewigen Kreislauf aus postindus­triellem Niedergang, verfilzter Politik, Drogenhandel und einer ab­gewrackten Polizei eindrucksvoll ausgestellt hatte.

Nachdem 2015 zudem der 25-jährige Kleinkriminelle Freddie Gray bei seiner Verhaftung im Transporter der Baltimore Police verstorben war, ließ sich als Zuhörer der Prozesse gegen die verantwortlichen Polizisten nicht nur lernen, dass der Polizeialltag tatsächlich so verroht war, wie in »The Wire« dargestellt; sondern auch, dass jetzt auch noch Angst der Polizisten hinzukam. Für sie war, was mit Gray passiert war, eine allenfalls bedauernswerte Folge normaler Polizeiarbeit. Und wenn man für deren Ausübung inzwischen vor Gericht landete, dann überlegte man sich nun zweimal, wie engagiert man auf den Straßen der notorischen Westside seinen Job noch nachging.

Andere Polizisten zogen den entgegengesetzten Schluss aus den öffentlichen Demütigungen, die ihr Berufsstand im Gerichtssaal ausgesetzt war: Wenn die Arbeit sinnlos geworden ist, weil Festnahmen vor allem noch für die Statistiken gemacht werden, während jeder weiß, dass sie nicht mal bis zum Haftrichter halten; wenn man täglich spürt, dass der Polizist oder die Polizistin für große Teile der Bevölkerung inzwischen nun noch der Feind ist und weder die Vorgesetzten noch Politiker einen beschützen – dann kann man sich auch feindselig benehmen.

Alles sollte besser werden – und wurde noch schlimmer

Damals im Gerichtssaal des Baltimore Circuit Court saß auch Justin Fenton, Polizeireporter der »Baltimore Sun«. Er hatte das Erbe von David Simon übernommen, der durch »The Wire« ein Star geworden war und im Auftrag von HBO andere Serien produzierte, die aber nie so gut waren wie »The Wire«. Die Polizisten auf Baltimores Straßen und die absurde Herkulesaufgabe, der sie sich gegenübersahen, waren Simons Herzensangelegenheit. Und das Interessante war ja: Als nach »The Wire« überall auf der Welt die Menschen von den unfassbaren Zuständen in Baltimore sprachen (es war eine fiktive Serie, aber trotzdem war alles wahr!), glaubten alle, dass es nun besser werden müsste. Aber es wurde bloß schlimmer.

Die Prozesse gegen sechs Polizisten im Zusammenhang mit dem Tod von Freddie Gray endeten mit keinem einzigen Schuldspruch, und bald standen die nächsten Polizisten vor Gericht. Sie hatten niemanden getötet, sondern vor allem Drogenhändler ausgeraubt. Sie waren Mitglieder einer Eliteeinheit in Zivilkleidung, der Gun Trace Task Force, und ihr Job war es, dafür zu sorgen, dass Waffen und Drogen endlich von den Straßen verschwänden. Da die Mitglieder der Task Force wie nahezu alle Polizisten in Baltimore »The Wire« gesehen hatten, wussten sie, dass dies eine unlösbare Aufgabe war. Und modifizierten sie. Sie nahmen den Dealern ihr Geld und ihre Drogen ab und verkauften letztere weiter. Das überzeugte diesmal auch die Geschworenen: Während der Mord an Freddie Gray ungesühnt blieb, wurden mehrere Mitglieder der Gun Trace Task Force zu sehr langen Haftstrafen verurteilt.

Justin Fenton ist den Geschichten dieser Polizisten nachgegangen, vor allem der des Anführers der Task Force, Sergeant Wayne Jenkins, und hat ein dokumentarisches Buch daraus gemacht, das er nach dem Selbstverständnis der Beamten benannt hat: »We Own This City«. Sein ehemaliger Mentor David Simon hat das Buch in eine gleichnamige sechsteilige HBO-Serie übersetzt, die an diesem Montag weltweit startet und in Deutschland auf Sky zu sehen ist. Fast genau 20 Jahre nach der Ausstrahlung der ersten Folge von »The Wire« ist Simon wieder bei seinen Ursprüngen angelangt.

Vieles schaut man mit Abscheu

In »We Own This City« verzichtet er auf die Poesie, auf das Schillernde, Changierende und stets Ambivalente, das die Fiktionalisierung des »The Wire«-Stoffs Simon damals erlaubt und die Brillanz der Show ausgemacht hatte. Die neue Serie basiert auf wahren Ereignissen und echten Figuren, ihr Duktus ist hart und direkt. Die Veränderung der Erzählhaltung erscheint wie eine notwendige Folge aus den ernüchternden Realitäten der letzten 20 Jahre.

Die Ereignisse in »We Own This City« sind, obwohl sie 2017 enden, schon in einem Post-George-Floyd-, Post-Freddie-Gray-Bewusstsein erzählt: Den Polizisten ist klar, dass sie moralisch längst verloren haben und es für alle – die Bürgermeisterin, die Chefanklägerin, den Polizeichef, die Abgesandten aus Washington – nur noch um das eigene Überleben beziehungsweise den eigenen Vorteil geht. Das macht die Serie nicht unbedingt unterhaltsamer, vieles schaut man mit Abscheu.

Und während in »The Wire« in fast jeder Figur, ob Polizisten, Dealer oder Politiker, noch ein zutiefst menschlichen Kern erkennbar wurde, finden sich in den Akteuren 20 Jahre später nur noch wenige Anknüpfungspunkte, die den Zuschauer zur Identifikation einladen. Darin mag sich eine gewisse Hoffnungslosigkeit unserer Zeit spiegeln. Diese für den Zuschauer schmerzhaft herauszuarbeiten, ist die Leistung von »We Own This City«.

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