Szene des Spiels: Es war keine minutenlange Rally, kein unmöglich erscheinender Return, kein erlaufener Netzroller. Es war ein Ass, das einen besonderen Moment dieses an spektakulären Szenen reichen Fünfsatz-Matches einläutete. Dieses Ass, mit dem Nick Kyrgios seinen zweiten Satzball im vierten Durchgang verwandelte, dieser Augenblick, als der zweite Aufschlag mit 219 Kilometer pro Stunde ins Feld kam und Ugo Humbert dem Ball nur hinterherschauen konnte, löste etwas aus, das es im Sport lange nicht gab: Jubel. Er kam von den Rängen, und zwar nicht nur aus der Box des australischen Tennisspielers. Hunderte Fans sprangen auf und schrien ihre Freude heraus, als hätten sie viele Monate lang nur darauf gewartet.
Später, nach dem Matchgewinn, klang es so:
Das Ergebnis: Dieses Ass brachte den Satzausgleich für Kyrgios, der anschließend auch den fünften Satz und damit dieses Zweirundenmatch der Australian Open 5:7, 6:4, 3:6, 7:6 (7:2), 6:4 für sich entscheiden konnte. In der dritten Runde trifft er nun auf US-Open-Sieger Dominic Thiem. Kyrgios freut sich auf das Duell, sagte aber auch: »Wenn ich jetzt daran denke, gegen ihn zu spielen, tut mir einfach nur alles weh.«
Das Zitat: »Ich weiß gar nicht, wie ich das geschafft habe, das ist eines der verrücktesten Matches, das ich je gespielt habe«, sagte Kyrgios beim Siegerinterview, während ihn die Fans im Hintergrund weiter bejubelten. Später fügte der 25-Jährige sichtlich ermattet in der Pressekonferenz hinzu: »Ich fühle mich alt, nach so einem Match will ich nur heim und ein Glas Wein trinken.«
Wie in alten Tagen: Für nach fast einem Jahr ungewohnte Ohren klang es bei der Night Session in der John Cain Arena wie 2020 bei einem Finale im sportverrückten Melbourne. Die Australian Open 2020, das war noch bevor das neuartige Coronavirus von einer Epidemie zu einer Pandemie erwuchs, die den Sportbetrieb verändern sollte. Auch Kyrgios hatte seit März 2020 aus Vorsicht auf Reisen und damit Turniere verzichtet, rutschte von Platz 23 auf 47 in der Weltrangliste ab. Und so muss es sich auch für ihn wie Heimkommen angefühlt haben. Zurück nach Melbourne, zurück zu seinem Sport, zurück zum Adrenalin. Und wer will schon behaupten, dass die zwei abgewehrten Matchbälle Humberts im vierten Satz nicht den Zuschauern zu verdanken sind? Kyrgios jedenfalls nicht. »Ich staune immer noch über die Atmosphäre.«
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19.000 Zuschauer waren offiziellen Angaben zufolge den dritten Tag über auf dem Gelände. Lesen Sie hier, wie Australien ein bisschen Normalität in Zeiten der Pandemie möglich machte: Fragile Freiheit.
Hum-wer? In der Tenniswelt ist der Franzose kein Unbekannter. Tatsächlich gehört Ugo Humbert zu den vielversprechendsten Talenten auf der Tour, nahm auch 2020 viele Gelegenheiten zum Spielen wahr, gewann die Turniere in Antwerpen und Auckland. Auch gegen Kyrgios lieferte Humbert eine beeindruckende Vorstellung ab. Der an Nummer 29 gesetzte Franzose hatte den Lokalmatador mehrfach am Rande einer Niederlage. »Er ist ein großartiger Spieler, er hat erstaunliches Tennis gespielt«, lobte Kyrgios. Guter Aufschlag, unglaublich starke Rückhand, gute Vorhand, guter Volley und ein guter Wettkämpfer sei er auch: »Er wird noch gefährlich werden, wenn er erst mehr Erfahrung hat.«
Spielboykott: Aber nicht nur die Ballwechsel unterhielten. Kyrgios konnte sich auch in seiner Rolle als Showman der Unterstützung von den Rängen gewiss sein – Theatralik, zertrümmerter Schläger, Flüche und Punktabzug für unsportliches Verhalten inklusive. Mehrfach beschwerte er sich über den Netzsensor, forderte Stuhlschiedsrichterin Marijana Veljovic auf, »die Maschine auszuschalten«. Er spiele erst weiter, wenn das geschehen sei, sagte er im zweiten Satz gar. Bevor er, Sie ahnen es, weiterspielte und die nächsten beiden Punkte zum Satzausgleich machte.
Der Mahner: Kyrgios pflegt sein Image als Antiheld, als Mahner, als letzter Aufrechter, als einzig Unbeugsamer im minutiös vorausgeplanten und vorhersehbaren Herrentennis. Auch vor und während der Australian Open hielt er nicht mit seiner Meinung über die aus seiner Sicht wenig vorbildlichen Kollegen hinterm Berg. Zuletzt arbeitete er sich wieder häufig an Alexander Zverev und Novak Djokovic für deren Verhalten in der Coronakrise ab. Auch als die Stimmung in Australien gegenüber dem Turnier durch negative Kommentare einiger Tennisprofis aus der Quarantäne weiter abrutschte, schlug er sich auf die Seite seiner Landsleute.
Am häufigsten wurde Kyrgios dabei wohl zu Djokovic befragt, der in einem Brief an Turnierdirektor Craig Tiley um Lockerungen für die Kolleginnen und Kollegen in Quarantäne bat. Er fand die üblich knackigen Worte, in einem seiner ruhigeren Momente sagte der Basketballfan aber auch das: »Er ist einer der Führungsspieler unseres Sports, quasi unser LeBron James, er sollte ein Vorbild für alle Spieler sein.« LeBron James, der seine Popularität immer wieder zum Kampf gegen Ungerechtigkeit nutzt. Zufällig wurde Djokovic kurz zuvor gefragt, welchen Weltstar er gern einmal treffen würde. Seine Antwort: Michael Jordan. Jordan beeindruckte in seiner Basketball-Karriere stets mehr mit sportlichen Leistungen denn mit sozialem Engagement.
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