In den Bäumen vor der Schule zwitschern die Vögel. Patrick Mahomes hört sie gut. Er ist kurz stehen geblieben, lauscht aufmerksam. Dann atmet er noch einmal tief durch, reibt sich den letzten Schlaf aus den Augen und läuft weiter. Es ist ein Montagmorgen im Februar. Der Schultag beginnt.
Zur gleichen Zeit wacht Tom Brady siegestrunken in einem Hotelzimmer auf. Das helle Licht blendet ihn. Er kneift die Augen zusammen, fährt sich mit beiden Händen über das Gesicht. Dann atmet er erst einmal tief durch. Er hat gerade seinen ersten Super Bowl gewonnen und muss zur Pressekonferenz. Mahomes muss lesen lernen. Es ist das Jahr 2002. Brady ist 24 Jahre alt, Mahomes ist sechs. So erzählen sie dieser Tage von damals.
Zeitsprung, 17 Jahre später, 20. Januar 2019. Mahomes sitzt niedergeschlagen in einer Umkleidekabine in Kansas City. Er hat mit seinem Team, den Chiefs, für die er seit fast zwei Jahren als Quarterback in der National Football League (NFL) spielt, gerade das Halbfinale um den Super Bowl verloren. Gegen Brady, der zwei Wochen später als Quarterback der New England Patriots wieder den Titel gewinnen wird; zum sechsten und bislang letzten Mal, so oft, wie das noch nie ein Spieler in der NFL geschafft hat. Spätestens dann werden ihn viele den „Goat“ nennen, den „Greatest of All Time“, den Besten aller Zeiten.
In diesem Moment aber, als sich die meisten Profis der Patriots irgendwo im Stadion von Kansas City in den Armen liegen wegen ihres Finaleinzugs, steht da ein Mann in der Tür zur Kabine der Chiefs. Er fragt den Sicherheitsbeamten, ob er vorbeidürfe. Er darf. Und er kommt auf Mahomes zu, langsam, in seinen Augen ist kein Mitleid, sondern ein Anflug von Bewunderung.
Dann sagt er etwas, das später von großer Bedeutung sein wird: „Ich mag, wie du spielst. Mach einfach genauso weiter.“ Der Mann, der zu Mahomes in der Kabine gekommen ist, statt mit seinen Teamkollegen zu feiern, ist Brady. Er spielt gerade seine 19. Saison in der NFL, Mahomes die zweite. Brady ist 41, Mahomes 23.
Sprung in die Gegenwart. An diesem Sonntag wird Mahomes in einer Umkleidekabine in Tampa Bay sitzen. Er hat auf Brady gehört. Nach der „herzzerbrechenden Niederlage“, so beschrieb Mahomes sie später einmal, hat er nicht aufgegeben, sondern einfach weitergemacht, weitergearbeitet, weitertrainiert. Er ist noch besser geworden, viel besser. Im Jahr nach dem Gespräch mit Brady gewann er seinen ersten Titel an einem rauschenden Super-Bowl-Abend im Februar 2020.
Mittlerweile gilt er selbst als einer der stärksten Quarterbacks der gesamten Liga, zumindest aber als ihr vielseitigster. Und in der Nacht zu diesem Montag (0.30 Uhr MEZ bei Pro Sieben und DAZN) kommt es in Tampa Bay tatsächlich zum großen Aufeinandertreffen der beiden Spielmacher im jährlichen Endspiel der NFL, der besten Football-Liga der Welt. Auch weil Mahomes, mittlerweile 25, das befolgt hat, was Brady ihm vor zwei Jahren geraten hat.
Und weil Brady, mittlerweile 43, einfach Brady ist, der erfolgreichste und vielleicht wirklich beste Quarterback, der American Football bislang gespielt hat. „Wenn du als junger Athlet, egal in welchem Sport, nicht auf Leute wie Tom Brady hörst, bist du verrückt“, sagt Mahomes nun. Warum? „Weil er nicht aufhört, an sich zu arbeiten. Weil er nie zufrieden mit sich ist. Weil er immer besser wird.“
Das sind bemerkenswerte Worte aus dem Mund eines Athleten, der selbst als so talentiert gilt, dass ihn seine Franchise jüngst mit einem neuen Zehnjahresvertrag ausgestattet hat. In der nächsten Dekade kann Mahomes in Kansas City eine halbe Milliarde Dollar verdienen. Eine halbe Milliarde wohlgemerkt, das sind etwa 415 Millionen Euro.
Aber Brady ist eben eine der großen Ikonen dieses Sports, der, der Maßstäbe setzt für die Nachwuchsspieler, die in die NFL wollen, und für die, die bereits in der NFL spielen. In den 20 Jahren im Trikot der Patriots erreichte er beinahe die Hälfte aller Super Bowls in dieser Zeit, sechs gewann er, drei verlor er. Diese Zahl ist bis heute unerreicht, und das wird sie wohl auch noch eine Weile bleiben.
Kein anderer Quarterback gewann so viele NFL-Spiele wie Brady, kein anderer Quarterback spielte so viele Spiele wie Brady, kein anderer Quarterback warf so viele Touchdowns wie Brady. Die Liste an Rekorden ist lang, auch wenn er in dieser Saison, in der er erstmals auch der älteste aktive Spieler der Liga war, weil der 48 Jahre alte Kicker Adam Vinatieri keinen neuen Vertrag mehr erhalten hat, durchaus nicht fehlerfrei gespielt hat.
Das zeigte sich insbesondere beim Play-off-Halbfinale gegen die Green Bay Packers, als Brady drei Interceptions warf, also drei Pässe von ihm abgefangen wurden, und die Defensive der Tampa Bay Buccaneers hauptverantwortlich für den Finaleinzug war. Dennoch spielt Brady insgesamt noch immer auf absoluten Spitzenniveau. Brady bleibt das Maß der Dinge.
Und Mahomes? Pulverisierte zu Beginn seiner Karriere eine ganze Reihe an Nachwuchsspieler-Rekorden, verlor noch nie ein Spiel mit mehr als acht Punkten, gewann 44 von 53 Spielen und erreichte nun seinen zweiten Super Bowl, bevor er 26 Jahre alt wird. Mahomes, so scheint es, ist das kommende Aushängeschild der NFL, der, an dem sich künftige Quarterback-Generationen werden messen lassen müssen.
Auch deshalb elektrisiert das bevorstehende Duell der beiden die Fans und Experten wahrscheinlich sogar noch mehr, als es ohnehin der Fall ist im Vorfeld des Super Bowls, eines weltweiten Medienspektakels mit oft über 100 Millionen TV-Zuschauern auf dem gesamten Globus. Weil es ein Duell ist, in dem die herausragende Vergangenheit und verheißungsvolle Zukunft der Liga aufeinandertreffen – im Hier und Jetzt.
Es sei ein bisschen so, schreiben amerikanische Sportmedien, als würden im Finale der Basketballliga NBA Michael Jordan und LeBron James gegeneinander spielen oder als stünden sich Diego Maradona und Lionel Messi im Endspiel der Fußball-Champions-League gegenüber. Nur dass es diese Duelle nie gegeben hat.
Brady gegen Mahomes aber, der König gegen den potentiellen Thronfolger: Dieses Duell findet statt, trotz Corona-Pandemie vor geplanten 22.000 Zuschauern im Stadion der Buccaneers. Erstmals spielt eine Mannschaft in ihrer eigenen Stadt um den Titel; die Spielorte des Super Bowls wechseln jährlich und stehen in der Regel mehrere Saisons im Voraus fest.
Und: Noch nie haben in einem Finale der NFL zwei Quarterbacks mit einem so großen Altersunterschied gespielt, die beiden trennen insgesamt 18 Jahre und 45 Tage. Dabei passt es ins Bild, dass der Ausgang dieser Partie noch völlig offen ist – die Kansas City Chiefs mit Mahomes waren das insgesamt stärkste Team der zurückliegenden Saison, die Tampa Bay Buccaneers, zu denen Brady vor etwa einem Jahr nach 20 Spielzeiten in New England gewechselt ist, eines der unberechenbarsten.
Und so klingt auch jetzt, wenn die beiden Quarterbacks über die frühen Momente in ihrem Leben und ihren Karrieren sprechen, über den Augenblick vor der Schule in Texas oder den Morgen im Hotelzimmer in New Orleans, als Brady noch nichts von der Existenz von Mahomes wusste und Mahomes Brady nur aus dem Fernsehen kannte, einzig gegenseitiger Respekt und Bewunderung füreinander aus ihren Worten. Welche Fähigkeiten des jüngeren Mahomes Brady gerne hätte, wurde er diese Woche etwa gefragt.
Bradys Antwort: „So viele! Ich meine, schauen Sie ihn sich doch einmal an. Diese Beweglichkeit, diese Wurfkraft.“ Welche Bedeutung der gemeinsame Moment in der Kabine in Kansas City für ihn gehabt habe, wurde Mahomes gefragt. Seine Antwort: „Das war wichtig für mich. Sehr wichtig. Weil es zeigte, dass ich einige Dinge richtig mache. Als junger Quarterback versuchst du das zwar immer, du kommst pünktlich zur Arbeit, du hängst dich voll rein, aber so richtig wissen kann man das erst, wenn man die großen Spiele gewinnt. Oder aber solche Momente erlebt.“
Die Chance, ein weiteres dieser großen Spiele zu gewinnen, mehr noch: das größte, ist nun für beide zum Greifen nah. Wird es ihre letzte Chance sein? Wohl kaum. Dass Brady noch ein weiteres Jahr dranhängt an seine außergewöhnliche Karriere, ist durchaus möglich. Und Mahomes hat ohnehin noch Großes vor. Will er aber im selben Alter wie aktuell Brady einen Super Bowl spielen, ist das noch ein weiter Weg. Sprung in die Zukunft: Es wäre das Jahr 2039.
Artikel von & Weiterlesen ( Das große Duell um den Super Bowl - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung )https://ift.tt/36RNbBc
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